IB-Aktionen in Zahlen

 

1. Motivation

In den vergangenen Jahren wurde intensiv über die so genannte „Identitäre Bewegung“ diskutiert. Ideologische Inhalte wurden analysiert, der zumeist neonazistische Kontext ihrer Aktivist*innen, der sich mindestens in einigen Fällen bis heute fortsetzt, in antifaschistischen Artikeln offengelegt. Mittlerweile gibt es Bücher, die sich ausschließlich mit den Identitären beschäftigen.

Bild 1: Auszug aus einem Strategiepapier, das bei einem Stammtisch der „IB Schwaben“ Verwendung fand

Was nach Meinung der Autor*innen fehlt, ist eine grundlegende und systematische Analyse ihrer Aktionen. Genau dazu wurde mit dem hier vorliegenden Artikel ein erster Schritt getan, woraus sich, das soll später gezeigt werden, interessante Rückschlüsse auf die Entwicklung und Strukturen der „Identitären Bewegung“ ergeben. Daraus wiederum lassen sich Ansatzpunkte für antifaschistische Strategien ableiten.

 

2. Was wurde gemacht?

Es wurden insgesamt 380 Aktionen und Aktivitäten der „Identitären Bewegung“ in Deutschland erfasst und ausgewertet. Das sind alle Aktivitäten, die auf den Facebookseiten der „Identitären Bewegung Deutschland“, ihrer Regionalgruppen sowie relevanten größeren Ortsgruppen innerhalb eines Jahres, vom 1. April 2017 bis zum 31. März 2018, veröffentlicht worden sind beziehungsweise stattgefunden haben. Zu den relevanten größeren Ortsgruppen später mehr.

Eine Aktivität ist entweder eine öffentlichkeitswirksame Aktion (Banner an öffentlichem Gebäude angebracht, Veranstaltung gestört…), Basisaktivismus (Flyer verteilt, plakatiert…), eine Demonstration oder eine interne Veranstaltung (Schulung, Kampfsporttraining, Stammtisch…). Zu jeder einzelnen Aktivität wurden verschiedene Informationen erfasst: Datum, Regionalgruppe bzw. Region, sowie ein oder mehrere Schlagwörter zur Charakterisierung der Aktion. Handelt es sich um eine bundesweite, also direkt auf der Facebookseite der IB Deutschland veröffentlichte Aktion, wurde keine Regionalgruppe zugeordnet.

Die Schlagwörter:
  • Banner – Wurde ein Banner verwendet?
  • Infomaterial – Wurde Infomaterial verteilt?
  • Gemeinschaft – Gruppenbildende Aktivitäten, wie Wanderungen, Stammtische, Schulungen etc.
  • Plakate – Wurden irgendwo Plakate angebracht oder hochgehalten?
  • Verkleidung – Kam Verkleidung zum Einsatz?
  • Schnipsel – Wurden bedruckte Papierschnipsel geworfen?
  • Kreide – Wurden Schriftzüge oder Anderes mit Kreidespray hinterlassen?
  • Pfefferspray – Wurde Pfefferspray verteilt?
  • Betonblöcke – Setzen von Betonblöcken
  • sonst. Requisiten – Zum Beispiel hölzerne Kreuze, Puppen, blutbeschmierte Schlauchboote etc.
  • Gedenken – Wurden konkrete Verbrechen oder Kriegstote thematisiert?
  • Störung – Wurde eine andere Veranstaltung gestört?
  • Demonstration – Teilnahme an bzw. Durchführen einer Demonstration
  • Wahlplakate – Wurden eigene Inhalte an fremde Wahlplakate angebracht?

Bild 2: Beispiel einer Aktion der „Identitären“ in Bayern

Für diese Banneraktion in Bayern ergeben sich beispielsweise folgende Informationen:

  • Datum: 23. Juli 2017 (an diesem Tag fand die CSU-Veranstaltung statt)
  • Region: Bayern
  • Schlagwörter: Banner, Störung
Mögliche Fehlerquellen:

An diesem Beispiel lässt sich gleich eine Grenze dieser Auswertung demonstrieren: Dass die Aktion damals gnadenlos gescheitert ist, wird nicht erfasst. Denn diese Auswertung bezieht ihre Informationen fast ausschließlich aus der propagandistischen Selbstdarstellung der IB-Gruppen und darin wird ein Scheitern nicht kommuniziert, nicht selten sogar als Erfolg verkauft.

Das Datum der Aktivität wurde, soweit möglich, aus dem Begleittext entnommen oder, wie im Beispiel oben, aus anderen Informationen geschlussfolgert. War das nicht möglich, wurde der Veröffentlichungszeitpunkt des Facebookposts übernommen. Der liegt aber tendenziell einige Tage später als die Aktivität selbst. Um dieser Fehlerquelle entgegenzuwirken, wurden bei der Darstellung einer zeitlichen Entwicklung alle Aktionen einer Woche zusammengefasst.

Manchmal können Schlagwörter nur subjektiv zugeordnet werden. Laufen Identitäre ohne Wissen der Veranstalter*innen in einem Faschingszug mit, ist das dann Beteiligung an einer Demonstration? Oder Störung einer Veranstaltung? Oder beides?

Selbstverständlich können nur die Aktivitäten erfasst werden, die von den Identitären auch veröffentlicht wurden. Das dürfte besonders die Zahlen von mit Gemeinschaft verschlagworteten Aktivitäten verzerren.

Nicht erfasst wurden Aktivitäten, die mit der Kampagne „Defend Europe“ im Mittelmeer stattgefunden haben. Da es sich hier aber um eine internationale rechte Kampagne mit Beteiligung deutscher Identitärer handelt, sollte dies bei der Auswertung der Ergebnisse im Hinterkopf behalten werden. Die „120 Dezibel“-Kampagne mit insgesamt einer Aktion in Berlin hingegen ist in die Ergebnisse mit eingeflossen, wurde aber selbstverständlich keiner Regionalgruppe zugeordnet.

 

3. Die Regionalgruppen auf Facebook

Die „Identitäre Bewegung Deutschland“ ist aktuell in 14 Regionalgruppen unterteilt, in denen sich wiederum eine oder mehrere Ortsgruppen organisieren.

Bild 3: Karte der Regionalgruppen der IB in Deutschland 2016 (veraltet)

Der Screenshot zeigt, wie sich die „Identitäre Bewegung Deutschland“ nach eigenen Angaben im Jahr 2016 unterteilt hat. Im Grunde entspricht das der heutigen sich aus den Facebookgruppen ergebenden Aufteilung in 14 Regionalgruppen – mit einer Ausnahme: „Pfalz“, „Rheinland“ und „Westfalen“ wurden zu „Nordrhein-Westfalen“ und „Rheinland-Pfalz“ zusammengelegt, wobei letztere Gruppe praktisch nicht existiert.

Normalerweise werden die Aktionen einer Ortsgruppe auf der Seite der zugehörigen Regionalgruppe veröffentlicht. Das dürfte vor allem praktische Gründe haben: Die Seiten sind größer, generieren mehr Reichweite und die Schlagzahl veröffentlichter Aktionen ist höher.

Manche Ortsgruppen vermarkten ihre Aktionen aber auch selbst. Dazu gehören Hamburg, Bremen und Dresden. Die Regionalgruppe in Sachsen-Anhalt hatte bis gestern keine aktive Facebookseite, sodass auch ihre drei Ortsgruppen (Halle, Harz und Magdeburg) ihre Aktionen selbst veröffentlichten. Jetzt wurde die Seite der Ortsgruppe Halle von „Kontrakultur Halle“ in „Identititäre Bewegung Sachsen-Anhalt – Kontrakultur Halle“ (sic!) umbenannt.

 

4. Ergebnisse & Auswertung

 

4.1. Aktivitäten im zeitlichen Verlauf

Bild 4: Aktivitäten pro Woche im zeitlichen Verlauf mit gepunkteten Trendlinien

Bild 4 zeigt die Aktivitäten pro Woche im Beobachtungszeitraum. Dabei markiert der schwarze Peak den Zeitpunkt der Bundestagswahl, rot und blau sind die Zeiträume davor beziehungsweise danach. Ganz offensichtlich hatte die „Identitäre Bewegung“ versucht, mit eigenen Aktionen den Ausgang der Bundestagswahl in ihrem Sinn zu beeinflussen. Vor allem unmittelbar vor dem Wahltag fand in beinahe jeder Region mindestens eine Aktion statt. Meist wurden irgendwo Banner angebracht oder hochgehalten – in der Woche vor dem Wahltag war ein Banner Bestandteil von 80 Prozent der Aktivitäten, bei über 50 Prozent sogar der einzige Bestandteil.

Dass die massive Unterstützung im rechten Bundestagswahlkampf durchaus geplant war, zeigt ein Blick auf Landtagswahlen, von denen im Beobachtungszeitraum mehrere stattfanden: Im Mai 2017 in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen und im Oktober 2017 in Niedersachsen. In den jeweiligen Zeiträumen kann keine signifikant gesteigerte Aktivität festgestellt werden, auch nicht in den jeweiligen Regionalgruppen.

Vergleichen wir die Zeiträume vor und nach der Bundestagswahl, fällt auf, dass die Aktivitäten insgesamt ein deutlich niedrigeres Level erreicht haben. Besonders im Oktober, also unmittelbar nach der Wahl, fanden pro Woche nur noch 4-5 Aktionen statt und das bundesweit. Überlagert wird das von einem Abwärtstrend, der bereits vor der Bundestagswahl zu beobachten war und sich nach der Wahl noch deutlicher fortgesetzt hat. Auf Verschleißerscheinungen zu schließen wäre naheliegend. Denkbar ist aber auch eine Umorientierung weg von öffentlichkeitswirksamen Aktionen hin zum Aufbau fester Infrastruktur. Beispielsweise kann für Orte mit IB-Immobilien (Rostock und Halle) genau das beobachtet werden. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Mischung aus beiden Phänomenen, Verschleiß und Strukturfestigung.

 

4.2. Aktivitäten in den Regionalgruppen

Bild 5: Anzahl der Aktivitäten in den jeweiligen Regionalgruppen

Teilen wir die 380 beobachteten Aktivitäten auf die Regionalgruppen auf, ergibt sich die in Bild 5 dargestellte Verteilung. Wir sehen fünf sehr aktive Gruppen, danach geht die Aktivität allerdings deutlich zurück. In Rheinland-Pfalz konnte exakt eine Aktion wahrgenommen werden: Im April 2017 wurde in Trier plakatiert, seitdem lebt die Facebookseite davon, dass Aktionen anderer Regionalgruppen geteilt werden. Ähnlich sieht es in Schleswig-Holstein, Franken und Mecklenburg-Vorpommern aus, wobei für Letztere betont werden muss, dass sich auf deren Gebiet die Bundeszentrale und damit eine wesentliche Schaltstelle für die IB in Deutschland befindet.

Der in 4.1. diskutierte allgemeine Abwärtstrend lässt sich auch auf die meisten Regionalgruppen anwenden, siehe hierzu Bild 6.

Bild 6: Aktivitäten in den Regionalgruppen im 2. Halbjahr relativ zum 1. Halbjahr

Dazu vergleichen wir die Aktivitäten der Regionalgruppen im 2. Halbjahr (Oktober 2017 bis März 2018) relativ zur Anzahl im 1. Halbjahr (April bis September 2017)  des Beobachtungszeitraums. Beispielsweise fanden in Thüringen im 1. Halbjahr 8 Aktivitäten statt, im 2. Halbjahr 9 Aktivitäten. Daraus ergibt sich ein Plus von rund 13 Prozent.

Neben Baden ist Thüringen auch die einzige Region, in der die Aktivitäten zugenommen haben. In allen anderen Regionen nahmen die Aktivitäten deutlich ab. Das ist natürlich auch dem Einfluss der Bundestagswahl geschuldet, die ins 1. Halbjahr fällt, allerdings ergibt sich auch ohne diesen Faktor ein allgemeiner Abwärtstrend in den Regionalgruppen. Die Gründe dafür wurden bereits erörtert.

 

4.3. Charakterisierung der Aktionen

Bild 7: Anzahl der Schlagwörter

Wie oft Aktivitäten wie verschlagwortet werden, zeigt Bild 7. Beispielsweise kommt bei knapp der Hälfte aller Aktivitäten ein Banner vor, während Betonblöcke aus naheliegenden Gründen nur sehr selten gesetzt wurden, nämlich dreimal. Alle drei Fälle traten zwischen dem 30. September und dem 19. Dezember 2017 auf.

Ebenfalls einen großen Stellenwert haben offenbar Gemeinschaftsaktivitäten wie Wanderungen, Stammtische etc., die immerhin 19 Prozent der gesamten Aktivitäten ausmachen. Sie dienen der Stärkung der eigenen Gruppe und der Selbstbestätigung.

Der hohe Anteil an Bannern, Infomaterial und Plakaten verdeutlicht den großen Missionierungsdrang der Identitären. Schließlich wähnen sie sich im „Kampf gegen“ einen „liberalen, postmodernen Zeitgeist“ (Facebookseite der IB Deutschland, 28. Juli 2015). Bild 8 gibt diesen Missionierungsdrang, wenn auch aus der verzerrten Sicht der IB selbst, gut wieder.

Bild 8: Auszug aus einem Strategiepapier, das bei einem Stammtisch der „IB Schwaben“ Verwendung fand

Besonders sei auf den Punkt „Gedenken“ hingewiesen, der sich in zwei Unterkategorien einteilen lässt:

  1. Aktionen in Verbindung mit dem Volkstrauertag am 19. November. Ähnlich wie in der klassischen Naziszene wird der Tag auch von Identitären politisch genutzt.
  2. Aktionen in Verbindung mit der im November 2017 gestarteten Kampagne „Kein Opfer ist vergessen“. Vor allem um den Jahrestag des Anschlags auf den Breitscheidplatz in Berlin konnten viele solcher Aktionen beobachtet werden. Dass die Kampagne rassistisch motiviert und kontextualisiert ist, muss hoffentlich nicht weiter erläutert werden.

 

5. Fazit

Als Fazit können folgende fünf Punkte zusammengefasst werden:

  1. Die Aktivitäten der „Identitären Bewegung“ nahmen in den vergangenen zwölf Monaten deutlich ab. Das kann auf Verschleiß, aber auch auf Strukturfestigung hindeuten.
  2. Zur Bundestagswahl intensivierte die „Identitäre Bewegung“ ihre Anstrengungen, was aber auch eine deutlich geringere Aktivität nach der Wahl zur Folge hatte.
  3. Die Regionalgruppen sind sehr unterschiedlich aktiv. Während einige Gruppen im Schnitt mehrere Aktionen pro Woche schaffen, sind andere Gruppen praktisch nicht existent.
  4. Der bundesweite Abwärtstrend für IB-Aktionen setzt sich in den meisten Regionalgruppen fort.
  5. Die Aktivitäten selbst sind gekennzeichnet durch missionierende Elemente. Etwa ein Fünftel bilden aber auch Aktivitäten zur Stärkung der eigenen Gruppe und zur Selbstbestätigung.