Ein Reichsbürger in der CDU

Als im April 2020 das Dresdner CDU-Mitglied Gerd Medger mit 72 Jahren starb, veröffentlichten gleich mehrere Organisationen eine Trauerbekundung. Eine war die Mittelstands- und Wirtschaftsunion Sachsen (MIT) der CDU, die um ihr „langjähriges Mitglied“ trauerte.

Traueranzeige in der bundesweiten MIT-Zeitung MIT vor ort 03/2020

„Er begleitete lange Zeit das Amt des Landesschatzmeisters und war Kreisvorsitzender der MIT Weißeritzkreis.“
(MIT Sachsen)

Ebenfalls einen Nachruf verfasste die Reichsbürger-Vereinigung Bundesstaat Sachsen.

Traueranzeige auf der Website des Bundesstaat Sachsen

„Wir verlieren mit ihm einen guten Freund, der uns mit seiner charmanten und witzigen Art in manch schwieriger Situation mit Rat und Tat zur Seite stand.“
(Bundesstaat Sachsen auf ihrer Website im April 2020)

Ein Reichsbürger mit Funktionen in einer wichtigen CDU-Vereinigung? Um das beantworten zu können, muss die Person Gerd Medger näher beleuchtet werden.

Als sich im März 1990, zum Ende der DDR, der sächsische Landesverband der CDU neu bildete, saß auf dem Präsidium neben dem heutigen Bundestagsabgeordneten Arnold Vaatz auch Gerd Medger. Im neuen Landesverband übernahm er neben der Geschäftsführung die Leitung der AG Finanzen und war mit dem intensiven Austausch mit den Westverbänden der Partei betraut (Michael Richter, 2005: Die Bildung des Freistaats Sachsen, S.561). Gleichzeitig hatte Medger das Amt des Finanzdezernenten der Stadt Dresden inne. Welche politischen Überzeugungen ihn in dieser Zeit geprägt haben, ist nicht bekannt, ebenso wenig, wie seine Rolle in der CDU der 1990er Jahre. Allerdings soll er zahlreiche Ehrenämter bis in die Bundesebene innegehabt haben.

Als sich im Jahr 2000 das Wirtschafts- und WissenschaftsZentrum Brasilien – Deutschland (WWZ-BD) unter der Schirmherrschaft des damaligen Botschafters von Brasilien gründete, gehörte Medger zu den Gründungsmitgliedern. In der Folge übernahm er lange Zeit Vorstandsfunktionen. Noch im Jahr 2015 saß er im Vorstand. Dass er die guten Beziehungen des Vereins in die Politik ausnutzte, ist denkbar.

2000: Gerd Medger ist Mitgründer des Wirtschaftsberatungs-Vereins WWZ-BD

Eine nächste Spur findet sich erst wieder im Jahr 2012, als die CDU-Mittelstandsvereinigung MIT Weißeritzkreis einen neuen Vorstand wählte. Dort wurde nicht nur Gerd Medger Beisitzer, sondern auch Tim Lochner, der heute als Pirnaer Stadtrat der AfD nahesteht.

Spätestens ab dieser Zeit ist eine Radikalisierung Medgers erkennbar. Zunächst 2014 mit einer Klage gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunkbeitrag, hier bereits mit Argumenten, wie sie typisch für Reichsbürger sind. Zum Beispiel behauptete er, der Rundfunkstaatsvertrag „täuscht den Eindruck einer völkerrechtlichen Korrektheit vor“, außerdem unterstellte Medger dem ÖRR „Beleidigung, Desinformation und Lüge“.

Ein Jahr später erstellte Medger seine Website weltenesche.com, die heute nicht mehr erreichbar ist. Dort lud er zahlreiche Dokumente hoch, darunter ein Strafantrag gegen Angela Merkel wegen Hochverrats, aber auch Texte, die seine völkische Gesinnung offenbart hatten. Ein Auszug:

„Die über zweitausend Jahre Kreuzzüge gegen Germanien haben unserem Volk viel und nachhaltig geschadet. Es hat sich aber immer wieder mit eigener Kraft und mit eigenem Schöpfertum emporgearbeitet, bis hin zur Weltspitze.
Trotz zahlreicher Niederlagen, Verstümmelungen unserer Landesgrenzen, Ausrottung großer Volksgruppen, blieb immer noch die Glut für den Wiederstand gegen das Fremde erhalten.“
(Einführung, weltenesche.com)

Neben solchen geschichtsklitternden Aussagen präsentierte Medger klassisch antisemitische Verschwörungstheorien, die er mit zahlreichen jüdischen Persönlichkeiten verband.

Zudem übernahm Medger die Website-Administration für die neonazistisch orientierte Burschenschaft FAV Neogermania Dresden, die allerdings kaum nach außen in Erscheinung tritt und sehr wahrscheinlich nur aus einer Handvoll alter Männer besteht.

Bei Gerd Medger blieb es aber nicht bei virtuellem Aktivismus. In den Jahren 2017 und 2018 nahm das CDU-Mitglied mehrfach an Dresdner Nazi-Demonstrationen teil:

  • am 11.02.2017 an einer Demonstration des Shoah-Leugners Gerhard Ittner
  • am 17.06.2017 an einer NPD-Demonstration
  • am 10.02.2018 an einem von der JN organisierten „Trauermarsch“
  • am 17.02.2018 wieder an einer Demonstration von Gerhard Ittner

Gerd Medger am 17.02.2018 auf einer Nazi-Demonstration in Dresden (Foto: Henrik Merker)

Die im Foto dargestellte Demonstration wurde von der Polizei vorzeitig aufgelöst, nachdem die französische Shoah-Leugnerin Michéle Renouf eine volksverhetzende Rede hielt, die vom deutschen Rechtsextremen Nikolai Nerling übersetzt wurde. Das ist das Umfeld, in dem sich Medger in dieser Zeit bewegte.

Auch an Pegida-Demonstrationen nahm Gerd Medger teil. Als am 14.05.2018 Björn Höcke als Redner auftrat, lief Medger im Demonstrationszug in der Nähe einer Kaiserreichsflagge, einer Schlesienflagge und einer Fahne der AfD. In einem Artikel in der extrem rechten Zeitschrift Die Aula mutmaßte er allerdings, Pegida könnte vom Verfassungsschutz mitgegründet worden sein, um „das oppositionelle Lager zu bündeln und danach zu zerlegen.“ (Die Aula, 2/2015, S.8) Dieser Verschwörungsglaube durchdrängte alles, was Medger in dieser Zeit veröffentlichte.

Gerd Medger am 14.05.2018 auf einer Pegida-Demonstration (Foto: Matthias Schwarz)

Eine weitere Säule von Medgers Aktivismus bestand aus Vorträgen. Für den sprachpuristischen Verein Deutsche Sprache referierte er beispielsweise über „Die Verwahrlosung unserer Mittersprache durch die Politiker“. Für den 16.02.2019 wurde er als Referent beim geschichtsrevisionistischen und neonazistischen Verein Gedächtnisstätte e.V. im thüringischen Guthmannshausen angekündigt. Wie das Thema „Geopolitik und Geotrategie bei Betrachtung der gegenwärtigen politischen Ereignisse“ interpretiert werden muss, dürfte angesichts Medgers Weltbilds klar sein.

Sollte all das noch nicht genügen, hilft ein Blick in das Dokument eines Vortrags, den er laut eigener Aussage 2017 gehalten hat. Das Thema: Die Schuldfrage des 2. Weltkriegs. Darin legte er in Reichsbürger-Manier dar, dass Deutschland seiner Meinung nach keinen Friedensvertrag unterschrieben habe und nicht nur „Feind aller ehemaligen Kriegsgegner“ sei, sondern auch der „BRD als UNO-Mitglied“. „Noch heute“ würde „den Deutschen die Kollektivschuld eingeimpft“. Diese Verschwörungserzählungen haben sich nach dem zweiten Weltkrieg in der nationalsozialistischen Szene verbreitet. Deutschland, so Medger im Vortrag, habe nicht die Welt überfallen, sondern die Welt sei über Deutschland hergefallen. Da sollte es nicht überraschen, dass er Polen die Schuld am Kriegsbeginn zuschob.

Wie kann es sein, dass ein Mann, der jahrelang seine extrem rechte Gesinnung im Internet, auf der Straße und in Vorträgen verbreitete und einer Reichsbürger-Vereinigung nahestand, die spätestens ab 2015 vom Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen beobachtet wurde, weiterhin in der CDU aktiv sein und Ämter in deren MIT einnehmen konnte? Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Schlapphüte auch hier wieder versagt haben. Aber auch die CDU kann nicht behaupten, nicht mindestens auf Kreisebene etwas gewusst zu haben. Spätestens am 17.08.2017 mit einem Brief an den Dresdner CDU-Verband sowie mehrere Vorstände, in dem Gerd Medger rassistische und antisemitische Verschwörungsideologien aufschrieb, hätte die Partei reagieren müssen.

Sachsens CDU muss endlich grundsätzlich etwas an ihrem Umgang mit rechten Mitgliedern ändern. Ignorieren löst keine Probleme, sondern verstärkt sie.